Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf Deutschland und sein Inneres. Im Speziellen gehe ich der Frage nach, wieviel Neoliberalismus im deutsche Fremdenhass steckt. Außerdem gilt es die Frage zu behandeln, ob die aktuelle Entwicklung nicht bereits von der Bundesregierung im Jahre 2005 veranlagt sein könnte. Es geht, im Kern, um innerdeutsche Differenzen und das, was sie mit den Menschen machen. Natürlich kommt auch Vladimir Putin nicht zu kurz.
Derweil verlangt es dem Volk in Rumänien nach einer Regierung, die frei von Korruption ist.
Kommentar
Der Westen soll alles: Die Menschenrechte müssen geachtet werden, Diktatoren dürfen weder unterstützt noch im Amt gehalten werden. Zugleich hat man sich aus allem rauszuhalten und wenn etwas schief geht, dann ist man gefälligst schuldig. In erster Linie natürlich die USA und dann wir, ihre westliche Lakaien. Das ist aber nicht genug. Es müssen auch alle reich und die Rohstoffe günstig sein. Außerdem muss die Technologieführerschaft errungen werden und alle sollen vollkommen frei sein. Bis auf die Rechten, denen muss der Mund verboten werden. Und die Parteien am besten gleich mit. Demos nur mit Gegendemonstration und überhaupt brauchen wir mehr Sicherheit. Natürlich ohne Einschränkungen. Die Wirtschaft soll brummen, die Infrastruktur funktionieren.
Es sind nicht die Versprechungen von Angela Merkel, die Flüchtlinge nach Deutschland ziehen. Es ist unser Eigenbild. Der westliche Anspruch an sich selbst und die Welt.
Dieser Anspruch wurde während des Kalten Krieges geprägt. Ähnlich dem Google-Motto „don’t be evil“, empfand sich der Westen in Zeiten des Kalten Krieges als Sphäre der Wahrhaftigkeit. Hier die Guten, dort das Reich des Bösen. Und es funktionierte. Die Flüchtlingswelle aus der DDR, die schlussendlich zum Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs führte, entstand vor allem aus Konsumgeilheit sowie dem Versprechen des Westens Wohlstand und Freiheit miteinander zu vereinen. Konsum- und Genußsucht als Haupttriebfeder. Wer wirklich Wirtschaftsflüchtlinge in diesem Land sucht, der wird sie auch entsprechend finden.
Ich lehne es explizit ab, Menschen für dumm zu befinden. Auch dann, wenn sie Gewalt ausüben und Rechtschreibfehler in ihre Parolen bauen. Es reicht aber auch nicht, die Sorgen der Menschen nur ernst zu nehmen. Man muss sich mit den Sorgen der Menschen auseinandersetzen. Sie ernsthaft be- und verhandeln. Das ist ein politischer Vorgang, eine Selbstverständlichkeit in einer Demokratie. In diesem Sinne könnten wir in Deutschland gerade eine wirklich böse Diskussion vom Zaun brechen. Ich vermute sie im Hintergrund. Denn jene, die sich da sorgen, äußern auch immer Zweifel über ihr eigenes, künftiges, Wohlergehen. Darunter sind Hartz IV-Empfänger ebenso wie Menschen, die von ihrem Berufsstand her vom Abstieg bedroht sind. Aber auch Bürgerliche, denen es gut geht und die sehen, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird. Sie alle haben unter der Regierung Schröder, die in Absprache mit der CDU/CSU Hartz IV einführte, erlebt, wie das zu verteilende Geld des Sozialstaates erheblich gekürzt wurde. Damals ging es um Schmarotzer und Faule, die es zu bändigen galt. Unter diesem Banner wurden alle anderen mit einem Pauschalverdacht belegt1. Diese Menschen haben gesehen, wie Betroffene seitdem arbeiten ohne von ihrem Salär leben zu können.
Der Schluss, dass mehr Leistungsempfänger (Flüchtlinge) zu weniger Leistungseinnahmen des Einzelnen führen kann, wir also vor künftigen Kürzungsrunden stehen, ist da nicht weit und im Sinne des Geschehens durchaus logisch. Diese sozialen Probleme bewegen im Osten Deutschlands mehr Menschen als im Westen. Mit fehlender Aufklärung und Informiertheit hat das wenig zu tun. Es ist eine Erfahrung, die sich vom Umbruch des Systems der DDR über gebrochene Wohlstandsversprechen in der BRD bis hin zu Wohlstandsabbau mit Hartz IV führt. All das mischt sich mit einem dumpfen Gefühl der Angst und kanalisiert sich in einer Art Massenpanik.
Wir können uns an dieser Stelle fragen, ob nicht die Leistung an sich ein Problem ist. Oder aber wir fragen uns, und dafür plädiere ich, ob wir das Sozialsystem nicht wieder mehr an der sozialen Teilhabe orientieren statt am reinen Überleben des Individuums. Die Frage ist immanent, da viele der Vorwürfe gegenüber den Flüchtlingen bereits in unserem Sozialsystem veranlagt sind. Fordern und fördern, war die seinerzeitige Ideologie. Man bekommt Dinge nicht einfach so, man muss dafür etwas leisten. Auch dann, wenn man nichts leistet. Wer staatliche Hilfe will, der muss entbehren. Sei es durch das Einzahlen einer Versicherungsgebühr oder das Aufgeben von Vermögen, ehe man die staatliche Leistung in Anspruch nehmen kann. Die Aufgabe einer Rücklage für die Rente, das Verkleinern der Wohnung. Das ewige Verrechnen aller staatlichen Leistungen mit Hartz IV. Ein gefühlt ewiges Aufgeben aller staatlichen Leistungen auf das absolute Minimum.
Die Flüchtlinge hingegen müssen „nur“ ihr Leben riskieren und es leisten, nach Deutschland zu kommen. Dies wird nicht als materieller Einsatz empfunden, der in unser bestehendes System eingezahlt wurde. Es ist kontraintuitiv entgegen der von unseren Regierenden erhobenen Ideologie, dernach wir hier zu leben haben. Eine Ideologie, die der Deutsche in guter alter Tradition seit 2005 erduldet. Dieses Erdulden, ist seine Leistung. So wird das Ankommen der Flüchtlinge für viele Menschen bereits zum ersten Kulturbruch. Sie kommen hierher und erdulden dann nicht, sondern es geht ihnen besser. So das Empfinden.
Wer in Deutschland mit moderaten Muslimen spricht, wird feststellen, dass sie mit den Flüchtlingsgegnern so einiges eint. Denn sie waren es doch, die einst in dieses Land kamen und sich anpassten. Die zu Deutschen wurden, die teilweise deutscher sind als viele Deutsche und die im Lauf der Jahre erlebten, wie sehr Deutschland eben nicht das ist, was es scheint. Wie die Lebensrealität dieses Landes von der Sphäre einer Hoffnung zu einer banalen menschlichen Realität mit all ihren Schwächen wurde. Sie erkennen die Parallelen zu den Regimen ihrer Vergangenheit. Und nun sehen sie, wie viele Moslems sich auf dem Weg nach Deutschland befinden.
Manch Deutscher fordert, dass diese sich zu „unseren Werten“ bekennen müssen, aber fast niemand will so richtig sehen, dass sich gerade deutsche Moslems oder Einwanderer aus muslimischen Ländern vor der Islamisierung fürchten. Manche, weil sie das Kopftuch, die Burka oder der Tschador triggert und andere, weil sie fürchten, dass sie wieder in den Strudel der Unfreiheit geraten. Wenn nicht im gesamten Land, dann vielleicht nur in ihrer Subkultur. In der es bereits einen Ruck der Islamisierung zu bemerken gab. Auch wenn es nur einzelne waren, so erhöhte sich die Radikalität. Mancherorts wird gelegentlich ein härterer Ramadan durchgezogen als noch vor ein paar Jahren (bspw. ohne trinken) und ähnliche Auffälligkeiten, die empirisch nicht einmal untersucht werden, die Menschen aber in ihrem Umfeld wahrnehmen. Die verunsichern.
Das sonderbare an der Konzentration auf Sachsen, in dieser Debatte, ist, dass dabei zum einen nicht die Migrationserfahrung der Ostdeutschen gesehen wird und zum anderen, dass es noch an ganz anderen Ecken dieser Republik gärt.
Hinter all dem steht die Frage, was Deutschland ist. Welche Indentität die Bürger mit diesem Land verbinden und wie sie denken, dass es sein soll. Ob dieser Diskurs unter dem Banner der Leitkultur geführt wird oder nicht, ist vollkommen egal. Er ist notwendig, auch weil Deutschland eben vieles ist, aber nicht deutsch und schon gar nicht europäisch. Es ist weder der Westen, noch ist es Russland. Führen soll es plötzlich, weiß aber nur zu belehren und moralisch zu werten.
Deutschland ist ein Vielvölkerstaat, der die ihn einenden Gemeinsamkeiten erst noch entdecken muss. Kulturpsychologisch steht dahinter nicht die verspätete Nation, sondern der ewige Gedanke des Untergangs, in dem geboren wird um nicht mehr zu sein. Damit ergaben sich die zwei Optionen, zu denen dieses Volk immer neigte. Rettung durch Zerstörung, weil die Zerstörung droht oder das permanente Desinteresse an der Welt. Wenn Zerstörung aber kein Option mehr ist und die wirtschaftliche Zerstörung der Gegner obsolet wird, kann man sich dem Desinteresse der Welt, dem Einigeln, nur zuwenden, wenn man selbst kein Protagonist ist. Deutschland ist ein Protagonist. Get alive.
Themen in Beobachtung
- Es mehren sich die Indizien, dass die russische Propaganda sich westliche Journalisten zu eigen macht. (Politico)
- Lettland hat es nicht leicht mit Moskau, dass das Eisenbahnsystem als wirtschliche Waffe nutzt. (Jamestown)
- Zeitungen sind zäh und sterben langsam. (12app)
Dieses Interview ist wirklich enorm. Allein von der Länge her. Und durchaus lesenswert, da es doch einige Stränge offenbart. Zeitlich wichtig ist, dass es vor Putins UN-Rede aufgenommen wurde. Schon hier formuliert er klar, dass er gegen jeden vorgehen wird, der gegen Assad kämpft. Er definiert alle, die gegen Assad kämpfen, als Terroristen und dementsprechend als Ziele. Verfolgt man den zeitlichen Ablauf, dann kann man im nachhinein vielleicht das schnelle Eingreifen des Kremls in Syrien als Überraschung definieren, nicht aber, dass auch andere Rebellengruppen als Da’esh angegriffen werden.
Beachtenswert finde ich die Formulierung „wir sagen das nicht“, zum Beispiel in Zusammenhang mit der Andeutung diverser Verschwörungstheorien, als da wären, dass Deutschland kein souveräner Staat ist, sondern immer noch unter der Besatzung der USA steht. Diese Technik kommt vor allem bei Punkten vor, die der Propaganda des Kremls ins Gewehr laufen.
Die Selbstinszenierung Putins ist erstaunlich nah an Merkel dran. Da dienen zwei ihrem Land und sind eigentlich nur normale Bürger. Putin, der Russe, stolz auf sein Land aber kein Diplomat. Und Merkel, die Deutschland dienen will und solche Aussagen über ihren Duktus steuert (Neuland, geht gar nicht, etc.).
Rumänien
In Rumänien demonstrierten gestern 30.000 Menschen, nachdem der Regierungschef Ponta zurückgetreten ist. Ein Sozialdemokrat, dessen Partei für Korruption und Menschenverachtung steht. Darüber werden wir in den Sonntagszeitungen nun einmalig viel erfahren und dann wird man hören: „Sowas! Und das mitten in Europa!“ Man staunt immer wieder, was in Europa so alles möglich ist. Rumänien fällt beispielsweise schon länger mit „Kanalmenschen“ auf. Das sind Bürger, die in der Kanalisation Bukarests leben. Darunter nicht wenige Kinder. Ein weniger beliebtes Thema. Man schaut bevorzugt auf die Demonstranten.
Notiz: Eine Zentrale Figur der anstehenden Reformen in Rumänien könnte Präsident Klaus Iohannis werden.
Nächste Buchrezension im Blog:
- Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)
Buch (am Lesen):
- Ray Bradbury – Fahrenheit 451 (Für mich dann abschließendes Werk aus der (Gegenwartsdystopie-Reihe.)
Bücher (zu lesen):
- John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
- Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
- Dagegen ist die Vorratsdatenspeicherung klein, aber solcherlei interessiert die Internetheinis nicht. ↩
Alles durchaus interessante Gedanken. Ich darf nur einen weitverbreiteten Irrtum korrigieren: Hartz IV war teurer, als die Kombination aus ALG I, ALG II und Sozialhilfe vorher. Nach meiner Erinnerung war der Hauptgrund dafür, dass viele Rentner aus dem Busch kamen, die vorher keine Sozialhilfe beantragen wollten.
Dreht man das Argument um, stellt man fest, wir müssten heute mit den alten Regeln irgendwas um die 100% mehr Geld für Sozialleistungen ausgeben, denn die Zahl der Anspruchsberechtigten hat sich mit Hartz IV höchstens zum besseren (weniger) verändert (die Rentner hätten auch vorher schon Geld bekommen können). Kann man durchaus gut finden (samt den damit verbundenen höheren Steuern), nur Illusionen sollte man sich nicht machen. Höhere Leistungen = höhere Abgaben. Fehlt mir regelmässig, wenn die einschlägig Verdächtigen für (beliebiges einsetzen) mehr Staatsgeld brauchen. Einer der hundert Gründe, warum Politikdiskussionen in Deutschland nicht mehr geführt werden, nur Befindlichkeitsdiskussionen.
Ich darf als ganz persönlichen Gedanken noch nachschieben, dass ich den ganzen Sozialleistungsgedanken zwar für notwendig halte, er mir aber politisch betrachtet grosses Unbehagen beschert: Man gewöhnt sich an das Niveau als Mindestniveau und will mehr. Und man hält das Erreichte für eine selbstverständliche Staatspflicht und vergisst, wie viele Leute dafür jede Woche 35 bis 60 Stunden arbeiten müssen. Beide Beobachtungen sind real – ich habe selbst noch aktiv erlebt, wie Staatsabhängigkeit in Deutschland von etwas Unanständigem zu etwas selbstverständlich Eingeforderten geworden ist. Wir hätten ohne Hartz IV heute etwa 2 bis Millionen Arbeitslose mehr, für die es völlig natürlich wäre, ALG II zu kassieren, anstatt zu arbeiten.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ein hoher Anteil der von Hartz IV-erzeugten Kosten kommt durch die darum herum entstandenen Industrie zustande, die u.a. sehr sinnlose Lehrgänge abhält. Vor 3 Jahren waren das noch 50%.
Eine andere Folge von Hartz IV und seiner lohnsenkenden Folgen (Kosten auf der Einnahmenseite der Sozialkassen) war nun die Notwendigkeit eines Mindestlohnes und all seiner dahinterstehenden Verwaltung.
Es ist sehr umfassend gewesen, was da passierte. Unabhängig vom Geld ist mein Eindruck, dass die größte Veränderung in den Köpfen stattfand. Im Guten wie im Schlechten.