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Über Schlafwandler im deutschen Bürgertum und die Medien

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf die Schlafwandler im deutschen Bürgertum und die Medien.

Update: Den Rest der Woche befinde ich mich auf Reisen, weswegen es hier erst am Montag weitergeht.

Kommentar

Deutschland ist ein unglaublich aggressives Land. Vielleicht liegt es an der Weihnachtszeit, aber seit ich aus dem Urlaub zurück bin, wirken die Menschen auf mich leicht durchgedreht. Ständig wird geflucht, geschimpft, gerempelt oder beiseite geschoben. Und wenn wir darüber sprechen, welch schlechtes Verhalten mancher auf Facebook, Twitter etc. an den Tag legt, dann sollten wir uns vielleicht auch fragen, warum wir dieses Verhalten auf der Strasse nicht mehr wahrnehmen.

Man ist hier einfach nicht nett und freundlich zueinander. Warum wundern wir uns überhaupt noch über das, was im Netz passiert?

Themen in Beobachtung

Hier werden gerade die Fenster herausgerissen und neue eingesetzt. Das geht noch bis morgen und dann bin ich erstmal wieder unterwegs. Das Lesen fällt mir bei diesem Krach recht schwer, aber ich wollte ohnehin ein paar Gedanken zu Christopher Clarks „Schlafwandler“ ausformulieren. Dass sie nun in diese Rubrik hier reinfallen, passt ganz gut.

Das Buch erschien 2012 auf Englisch und am 9. September 2013 auf Deutsch. Zeitlich im unmittelbaren Vorfeld des Maidans in der Ukraine. Hierzulande ein Bestseller, kann man Clark damit eine gewisse Wirkmächtigkeit unterstellen.

Die Schlafwandler ist eines der wenigen Bücher, das es schafft, die Komplexität politischer Entscheidungen abzubilden. Ähnlich wie jedes Individuum unterliegen Politiker Trends in ihrer Wahrnehmung, verbeissen sich in Ansichten und werden schlecht informiert. Sie versuchen zwischen verschiedenen Lagern zu bestehen und formale Befehlsketten entsprechen nicht immer Entscheidungsketten. Unter diesen Aspekten betrachtet, hat Clark ein Meisterwerk abgeliefert.

Im gesamten Buch zieht sich jedoch ein weiterer roter Faden durch, der für Clark selbst nur ein Aspekt des Geschehens ist. Die Medien der damaligen Zeit, die mehr Instrument der Politik waren als das, was wir heute unter Journalismus verstehen. Sie wurden gekauft, in ihnen wurden Ansichten und Meinungen lanciert und sie waren ein nicht unerheblicher Faktor des Geschehens. Nebst all dem, was wir heute Informationskrieg nennen, musste dieser Informationskrieg auch immer auf einen fruchtbaren Boden fallen und das bemerkenswerte an der deutschen Medienskepsis der letzten zwei Jahre war immer, dass sie aus dem Bürgertum herauskam.

Es waren nicht die Dummen, wie gerne behauptet, die das Wort des Unmuts führten. Das Bürgertum, der Hauptrezipient genau solcher Bücher, hatte zeitlich ungünstig ein passendes Werk, das die seit Sarrazin bestehenden „diffusen Gefühle“ gegenüber den Medien zum Ausdruck brachte. Sie ausformulierte und ihnen eine Gestalt gab. Anschließend folgte, wie bei Menschen üblich, eine Phase, in der sie die Welt nur noch im Lichte dieser neuen Erkenntnisse sahen.

All das wäre vielleicht weniger problematisch gewesen, wenn nicht zugleich der Maidan, mit anschließendem Krieg in der Ostukraine ausgebrochen wäre. Befördert von Propaganda und auch Fehlern bei Journalisten, wurde aus dem Sehen schnell etwas, gegen das es sich zu wehren galt. Von der Symboli her nicht zu unterschätzen war in jener Zeit auch die Stinkefinger-Geste von Peer Steinbrück im Magazin der Süddeutschen, die dem, was „man sich von Politikern so dachte“ ebenfalls einen erweiterten Ausdruck verlieh.

Mit dieser Beobachtung sind wir freilich nicht beim Kern der Probleme, aber bei einem ihrer Beschleuniger angelangt. Ansonsten empfehle ich auch unter allen anderen Aspekten dieses Buch zu lesen. Und zwar unter dem Banner der Heilsamkeit entgegen jeglicher Annahme, irgendwer würde irgendetwas gezielt steuern. Es regieren leider immer nur Trends und Glaubensmuster.

Wenn man Clark liest, könnte man beginnen sich zu wünschen, Journalisten würden sich viel mehr mit Machtblöcken und Verhaltensmustern der Akteure beschäftigen, um dadurch demokratische Entscheidugen viel besser zu ermöglichen.

Diskussionsrunde über Russland

Ich bin ein großer Freund der Interviews von Mehdi Hasan. Gerade bei solchen Themen. Ganz groß ab 15:50 Min.!

Nächste Buchrezension im Blog

  • Katja Gloger – Putins Welt (Der Berlin Verlag stellte mir netterweise eine Rezensionsexemplar zur Verfügung. Das Buch kommt in die Reihe, da mir mehrere Empfehlungen zukamen. Ich versuche keine Erwartungen hineinzulegen.)
  • Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)

Buch (am Lesen)

  • Christopher Clark – Die Schlafwandler (Was für ein Buch. Wer der Themenlage des Blogs zugeneigt ist, sollte es unbedingt lesen.)

Bücher (zu lesen)

Da ich gerade Christopher Clark lese und die Wichtigkeit erkenne, habe ich die Liste umgeschmissen. Als nächstes daher, und das soll bis nächstes Jahr dann auch erstmal reichen:

  • Herfried Münkler – Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Aktuelles Spiel

Weihnachts- und Neujahrspause

Marco Herack
Marco Herack

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Category Notizen

3 Comments

  1. Thorsten haupts Thorsten haupts

    Was ich bei dem Hype um Clarks Buch immer etwas seltsam fand – kennt eigentlich keiner mehr Barbara Tuchmans „August 1914“? Es hat fast deckungsgleiche Kerntehesen – und liest sich, sorry Clark – auch noch m einiges flüssiger :-).

    P.S.: Ich finde es nicht so schlimm, dass Leute sich endlich wieder klarmachen, dass Journalisten und Medien mitnichten die Wirklichkeit abbilden und häufig nicht einmal relevante Informationen vermitteln. Die westdeutsche Mediengläubigkeit der siebziger und achtziger hatte etwas entschieden Kindliches.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • mh120480 mh120480

      Das Buch von Barbara Tuchman kenne ich nicht, schaue ich mir aber an. Rein von der Idee her, ich habe es nicht gelesen, scheint mir auch ihr „Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam“ sehr interessant. Danke für den Hinweis!

      Gab es diese Gläubigkeit denn in einer umfassenden Form? Aus dem Heute heraus vermag ich sie so nicht erkennen, habe damals aber auch nicht (hier) gelebt.

    • Thorsten Haupts Thorsten Haupts

      Tuchmans Bücher sind tatsächlich alle lesenswert, was selten ist. Wenn Sie Geschichte interessiert, nehmen Sie lieber „Der schwarze Turm“ (Gesellschaft Europas vor dem 1. WK), „Die Torheit der Regierenden“ ist nicht wirklich schlecht, aber eines ihrer schwächeren.

      Frohe Tage,
      Thorsten Haupts

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