Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf die Türkei. Hat sie durch ihr aggressives Verhalten wirklich nichts zu gewinnen?
Ansonsten herrscht hier die nächsten zwei Wochen weitestgehend Ruhe.
Kommentar
Scheinbar tun sich momentan alle schwer, zu verstehen, was Erdogan treibt. Daher eine kleine Anregung, die auch nur eine Fortsetzung des bisherigen Gedankengangs ist. Die Grundlage meiner Beurteilung Erdogans war immer die ihm drohende autonome Kurdenregion im Norden Syriens, die direkt an der Türkei grenzt. Das größte Risiko war in dem Sinne, dass Erdogan direkt in den Syrienkonflikt eingreift und auf die Kurden losgeht. Ähnlich wie Putin an seiner Außengrenze, will Erdogan eine Pufferzone. Ein Standardziel geopolitischer Ambitionen.
Putin hingegen hat im Norden Syriens die Turkemen bebomben lassen. Dabei hat er mehrfach türkischen Luftraum verletzt. Seit die Russen in dem Gebiet fliegen, hat Erdogan eine Warnung nach der anderen ausgeschlagen. Sie haben explizit die Grenzen der Türken getroffen. Und scheinbar haben sie auch nicht den Abschuss einer Drohne ernstgenommen. Es gab ausreichend viele Hinweise darauf, dass die Türkei es ernst meint. Und ja, der Abschuss ist außerhalb der gewohnten Kalkulierbarkeit, die Russland sonst gegen seine Partner zum eigenen Vorteil verwendet.
Nun heißt es allgemeinhin, dass die Türkei dabei nichts zu gewinnen habe. Aber das ist quatsch, denn es ignoriert die entstehende autonome Kurdenzone an deren Grenze. Die turkemenischen Brüder, die die Nato gestern dank Erdogan „gewonnen“ hat, wurden nur im Irak von der PKK und der Peschmerga geschützt. In Syrien sieht das anders aus. Dort wurden sie von Erdogan aufgerüstet, der damit auch die Kurden schwächte. Die Turkemen (und auch die Araber, Amnesty berichtete) werfen den Kurden immer wieder vor, sie würden die vom IS befreiten Gebiete auch gleich von anderen Volksgruppen säubern. Durch Vertreibung wohlgemerkt.
Anders formuliert: Die Russen bomben da unten nicht den IS weg, sondern die reguläre syrische Opposition, deren Reste dann von den Kurden und dem IS vertrieben werden. Die Türkei dachte am Anfang des Konflikts vielleicht, dass sie um mehr Einfluss kämpft. Mittlerweile geht es aber hauptsächlich um den Einfluss innerhalb der eigenen Grenzregion. In dem Sinne ist der Abschuss für mich vollkommen erwartbar gewesen. Dass es Putin überrascht hat, lässt auf eine Fehlkalkulation schließen, die man ihm so nicht zugetraut hätte. Eine Erklärung könnte sein, dass ihm sein „Lauf“ den Blick vernebelt hat. Er war scheinbar zu sehr auf seinen Plan fixiert.
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Syrien = Die Türkei will Assad am liebsten am Galgen baumeln sehen.
Irak = Als sich seinerzeit die autonome kurdische Region bildete, beschloss das türkische Parlament eine Militärintervention gegen kurdische Rebellen im Nordirak.
Iran = keine Freunde, aber Erdöl- und Gasabhängigkeit.
Armenien = Da ist diese Sache mit dem Völkermord, der seitens der Türkei bis heute nicht anerkannt wird.
Georgien = freundschaftlich
Als entweder sind die Nachbarn der Türkei sehr schwierig oder es ist umgekehrt. Jedenfalls sieht sich die Türkei bedroht und so sollte der Flugzeugabschuss absolut niemanden wundern.
Für uns, als externe Betrachter, ist die Lage insofern sehr interessant, weil sich nun eine gängige These als wahr oder falsch rausstellen wird. Wirkt ein hartes Grenzenziehen entgegen Putins expansionistischer Politik?
Themen in Beobachtung
- Kunduz: Die USA gestehen ihre Schuld (Foreign Policy)
Als das Bombardement des MSF-Hospitals in Kunduz geschah, vertrat ich die These, dass sich jetzt der Unterschied zwischen Russland und uns, dem Westen, recht deutlich zeigen werde. Als Basis nahm ich das hirnlose US-gebashe von Fefe, der es mittlerweile geschafft hat, zwar an das US-Bombardement wieder zu erinnern, aber nicht ein einziges Mal erwähnte, dass die Russen derweil mindestens 12 Krankenhäuser dem Erdboden gleichgemacht haben.
Die Sache ist eigentlich eindeutig. Die russischen Bombardements wurden nicht einmal untersucht. Das eine Bombardement der USA soll nun ein Fehlverhalten gewesen sein, dem Konsequenzen folgen. Wie es überhaupt passieren kann, dass die Befehlskette so durchlässig war, wird man wohl nur internen Berichten entnehmen können.
In diesem Blog sammele ich seit jeher gerne Informationen darüber, wie sich der IS oder sonstige sonderbare Organisationen finanzieren. Wir wussten bereits, dass die syrischen Rebellen, alle, Öl beim IS kaufen. Denn sie brauchen nunmal den Diesel fürs Kriegsgeschäft. Das geht nicht anders, daher wurde die Öl-Versorgung des IS auch wenig bombardiert. Aber ich beschäftige mich ja auch mit dem Informationskrieg und daher ist diese Nachricht hier besonders spannend. Zur Erinnerung, Putin erwähnte letztens, dass verschiedene Staaten Geschäfte mit ISIS machen. Aus naheliegenden Gründen wurde dann die Türkei namentlich benannt. Und nun, pünktlich vor Hollandes Eintreffen in Moskau, um mit Putin zu verhandeln, veröffentlichten die USA, dass auch Russland und Assad Geschäfte mit ISIS machen.
Nun gilt auch für diese Herren, was für die anderen gilt. Es geht da gerade nicht anders, außer man hört man diesem bescheuerten Krieg auf. Den gegen ISIS wird man aber dennoch führen müssen. Mit diesen Quatschinformationen versucht nun einer dem anderen was reinzudrücken. Aus meiner Sicht ist die gute Nachricht dabei immerhin, dass die USA ihr Timing noch nicht ganz verlernt haben.
- Jeremy Corbyn (The Spectator)
‘Paris reaps whirlwind of western support for extremist violence in Middle East’ ran a headline on its site. The article went on to say that the consequence of the West’s ‘decades-long, bipartisan cultivation of religious extremism will certainly be more bloodshed, more repression and more violent intervention’.
Ich stelle mir gelegentlich einen katholischen Irren vor, der durch die Straßen zieht und sich selbst geißelt. Here we go.
In Sibirien leben
Nächste Buchrezension im Blog
- Katja Gloger – Putins Welt (Der Berlin Verlag stellt mir netterweise eine Rezensionsexemplar zur Verfügung. Das Buch kommt in die Reihe, da mir mehrere Empfehlungen zukamen. Ich versuche keine Erwartungen hineinzulegen.)
- Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)
Buch (am Lesen)
Heinrich und Christine Gondela – Auf der Reise ins Paradies
Bücher (zu lesen)
- John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
- Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
- Navid Kermani – Zwischen Koran und Kafka: West-östliche Erkundungen (Kermani mag ich sehr, weil er versucht die Welten zu verbinden und genau das ist es, was auch wir hier viel mehr brauchen.)
Aktuelles Spiel
Fallout 4 (Die ersten 8h haben mich nur bedingt überzeugt. Gleichwohl, ich brauche auch immer so meine 10h, um mit solchen Welten warm zu werden. )