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Der Ruf nach Populismus ist eine Aufgabe des Arguments

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf Deutschland und die sonderbaren Bündnisse in der Flüchtlingsdebatte. Dazu passend beschäftige ich mich mit der Finanzierung des Islamischen Staates.

In Myanmar hat die Partei der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi die ersten freien Wahlen seit 25 Jahren gewonnen. Meine Skepsis ist mit ihr.

Kommentar

Seit nunmehr 20 Jahren betrachte ich Krisen. Am Anfang waren es banale Kursstürze an den Börsen. Sei es von großen Unternehmen oder dem gesamten Markt. Das wird schnell langweilig, denn die Muster sind immer gleich. Bei Unternehmen ist es die schlichte Erkenntnis, dass etwas zu gut aussieht. Sei es die angebliche Rendite, die erzielt werden soll, oder der niedrige Einstiegskurs. Widersprüche in der Bilanzierung. Bei Märkten die generelle Überhitzung. Schwieriger sind bewaffnete Konflikte. Man kann ihnen beinah in Zeitlupe bei der Eskalation zusehen, aber das Timing für ihr Ende ist nahezu unmöglich. Das Problem ist fast nie das Wissen um die anstehenden Verwerfungen, das Problem ist immer die Zeitschiene. Denn egal wie korrupt und verdorben ein System ist, es hält sich erstaunlich lange aus der Perspektive desjenigen, der um ein marodes Fundament weiß. Russland wäre ein aktuelles Beispiel das jedem gewahr ist. Aber auch Deutschland.

Deutschland ist nicht sonderlich korrupt, zumindest im Vergleich. Wir haben hier ein Sozialsystem, das besser funktioniert als in den meisten anderen Staaten auf der Welt. Und wenn Deutschland etwas auszeichnet, dann ist es generell die Tatsache des Funktionierens. In Berlin mag die S-Bahn in ihrem 5 Minuten-Takt gelegentlich zweimal am Stück ausfallen, das ist nur nichts im Vergleich zum Bus in Moskau, bei dem man vorher nie so recht weiß, ob er überhaupt kommt oder eben gar nicht. Während man in Deutschland wartet, wettet man anderswo mit seiner Lebenszeit und seinem Geld als Einsatz.

Das deutsche Problem ist eine Art von „Ende der Geschichte“. Gemeint ist damit das Ende des Wachstums basierend auf Produktivität. Ersetzt wurde es durch ein Wachstum per Geldpolitik, das auch eine Neuverteilung der Einnahmen zur Folge hat. Man kann das Dienstleistungsgesellschaft nennen. Das Konzept hat schon immer übersehen, dass man, um eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, vorher etwas erwirtschaftet haben muss. Sobald die Basis dafür jedoch Geld ist, kommt es bei Menschen zu einer Situation der Gier. Geldrausch führt innerhalb eines Finanzsystems seit Jahrhunderten zuverlässig in Finanzkrisen. In meiner Beobachtung hätte man all die Wirtschaftskrisen der Vergangenheit nicht beheben, sondern durchleben müssen um die jetzige Situation zu verhindern.

Das eigentliche Problem mit Wirtschaftskrisen und ihrer Verhinderung ist aber nicht, dass die Krise dadurch immer größer wird. Es ist vielmehr der verhinderte Zwang zur Veränderung. Verstärkt wird diese Problematik, das mag nun zynisch erscheinen, durch den Faktor Frieden. Wenn alles läuft, wie es ist, also kein Druck entsteht, weder von außen noch von innen, dann passen sich Gesellschaften nicht den Veränderungen um sie herum an. In Deutschland kann man das sehr gut am Beispiel Internet beobachten, das hierzulande zwar da, aber keineswegs gut ist. Dabei wäre das ein klassisches Infrastrukturprojekt, mit dem man Wachstum erzeugen könnte. Stattdessen werden indirekte Steuern durch Lizenzvergaben erhoben.

Diese Gesellschaft, bei der es gefühlt wie geschmiert läuft, die aber um sich herum den Bär toben sieht, reagiert nun erstmals seit den 1990ern allergisch auf eine Veränderung, die ihr von außen regelrecht aufgezwungen wird. Und zwar in einer Art, die an ihr eigenes, nach 1945 erschaffenes, Glaubensfundament in Frage stellt. Menschenrechte, ja gerne, aber nicht in meinem Garten, schallt es da vielfach. Ist diese offenkundige Fremdenfeindlich ein Problem? Sicher, ein Politisches. Und dagegen kann man sich wehren. Gegen diese Menschen kann man politische Banden schmieden. Man kann die Zivilgesellschaft bemühen und man kann sich ihnen mit aktivem Handeln, was auch vielfach getan wird, entgegenstellen. Die Zivilgesellschaft kümmert sich bereits darum.

Auch wenn die Rechtskonservativen nun ihre eigene Partei bekommen und diese halten können, dann ist das kein wirkliches Problem für eine Demokratie, denn so können sie sich politisch äußern und man kann sie politisch bekämpfen. Das bedrohliche ist immer das, was im Unter- und Hintergrund gärt. Das Unsichtbare, das zu zersetzen gedenkt. So aber entsteht eine Offenheit des Wortes und eine Öffentlichkeit für diese Menschen, die es seit Sarrazin gebraucht hat. Studien legen nahe, dass durch diesen Vorgang die Gewaltbereitschaft gesenkt wird. Logischerweise, denn so erfolgt nun mal eine gesellschaftliche Aushandlung der Interessen.

Aber was machen wir mit den Linken, die zu einer politischen Äußerung nicht mehr in der Lage sind? Diese Leute sehen nur noch Nazis in Deutschland rumlaufen. Wenn politisch gestritten wird, schreien sie „ekelhaft„. Und nachdem Jakob Augstein einen „linken Populismus“ forderte, probiert er ihn auch gleich aus. Der Punkt ist nicht unwichtig, denn so sonderbar die Vermischung mancher Linker in Sachen Flüchtlinge und Moslems mit den Rechtskonservativen ist, so speziell scheint das hier entstehende Bündnis zwischen Teilen der „mitte-links“-Bewegung mit Verschwörungstheoretikern. Als Bindungselement dient die Abgrenzung gegenüber denen da oben und der generellen Behauptung, nichts tun zu können.

Das wesentliche Bindungselement dieser Bewegung in Entstehung ist aber die Grundannahme der Dummheit und Verführbarkeit des Menschen. Alle, die nicht so handeln wie wir, sind verführt. Von alten weißen Männern und Rechtspopulisten. Wir, die die Wahrheit kennen, müssen uns dieser Methoden bedienen. Wir müssen verführen und die Massen in die richtige Bahn lenken. Hier überschneiden sich Denkmuster.

Ich sehe auch, was Schmatsky sieht. Die Linke und ihre Wortwahl wird zu einem unerwarteten Problem. Aber er irrt in seiner Bezugnahme auf Ernesto Laclau, der nur unter Hinzunahme seiner Ehefrau Chantal Mouffe interpretiert werden kann. Die beiden beziehen sich immer wieder aufeinander und Mouffe hat ein sehr klares Bild des Politischen gezeichnet. Es ist eher so, dass Laclau und Mouffe noch viel mehr, für diese zugespitzten Fronten plädier(t)en. Was sich da links der Mitte bewegt, ist aber nicht nur der übliche Kommunikationsabbruch mit den Rechtskonservativen, sondern der Kommunikationsabbruch mit denen rechts von der Mitte und in Teilen sogar mit der Mitte. Der Ruf nach Populismus ist eine Aufgabe des Arguments. Die Aufgabe des Menschen als bewusst handelndes Objekt und passt irgendwie ganz gut in eine Zeit, in der man glaubt durch Big Data eine Wahrheit zu erkennen.

Wenn mich etwas in diesem Lande sorgt, dann ist es diese Entwicklung. Denn wenn es eine Eskalation zwischen den beiden Fronten geben wird, dann aus der Reaktion des linken Spektrums auf den extremistischen Part der Rechten. Momentan wird noch „Rechtfertigungskapital“ akkumuliert.

Themen in Beobachtung

Ich war etwas zu optimistisch, die Sonntagszeitungen werden noch eine Woche brauchen, ehe sie die ausführlichen Hintergründe zu Rumänien liefern. Daher an dieser Stelle ein sehr guter Einblick von Daniel Brett. Er deckt so gut wie alles ab.

Wir wissen seit längerem, dass sich ISIS per Öl-Handel finanziert. Dabei hat der Terroristenladen eine Art Monopol-Stellung aufgebaut und verdient daran recht gut. Teilweise zu erstaunlichen Preisen. Das Konzept führt dazu, dass Da’esh im Gegensatz zu Al Kaida nicht auf Spenden angewiesen ist. Mit einer steten Einnahmequelle im Hintergrund lässt sich viel besser ein Staat organsieren. Für den Konflikt in Syrien wesentlich ist vielleicht der zwei Punkt. Denn entgegen jeder Logik, wird die Öl-Infrastruktur der IS nicht einfach zerbombt. Alle brauchen Diesel und dieser wird seitens der Terroristen auch an die Rebellen verkauft.

“They were ready, they had people there in charge of the financial side, they had technicians that adjusted the filling and storage process,” said a local sheikh from the town of Hawija, near Kirkuk. “They brought hundreds of trucks in from Kirkuk and Mosul and they started to extract the oil and export it.” An average of 150 trucks, he added, were filled daily, with each containing about $10,000-worth of oil. Isis lost the fields to the Iraqi army in April but made an estimated $450m from them in the 10 months it controlled the area.

Im Gesamtbild braucht der IS zum Wachsen den Krieg und eine aktive Gegnerschaft.

Selten gibt es zum Thema Israel, Westbank und Gaza so ein ruhiges und ausgewogenes Gespräch. Leider hat der Deutschlandfunk das absolut unpassenste Zitat aus dem Interview herausgenommen, so dass ich es fast nicht angehört hätte.

Über die Kosten der Gewalt

Man kann Krieg führen und man kann gewinnen oder verlieren. In jedem Fall kann eine Gesellschaft danach aber nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.

Nächste Buchrezension im Blog:

  • Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)

Buch (am Lesen):

  • Ray Bradbury – Fahrenheit 451 (Für mich dann abschließendes Werk aus der (Gegenwartsdystopie-Reihe.)

Bücher (zu lesen):

  • John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
  • Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
Marco Herack
Marco Herack

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