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Die Seidenstraße stellt China vor die Machtfrage

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute nach China und auf Byung-Chul Han.

Was war?

Gestern gab es Neuigkeiten über Karl-Theodor zu Guttenberg, der auf einer sonderbaren Veranstaltung gesichtet wurde. Wie zu ergänzen ist, hat Horst Seehofer in der Welt am Sonntag ein Interview gegeben und dabei folgendes gesagt.

Die Welt: Viele Flüchtlinge stammen aus Syrien. Wie bewerten Sie Putins militärischen Einsatz?

Seehofer: Wenn die Luftangriffe auf den IS nun vielleicht zwischen den Mächten abgestimmt werden, dann ist das für mich ein erstes Zeichen der Hoffnung. Überhaupt muss klar sein: Eine Lösung ohne Russland wird es nicht geben. Ich bin da auf der Seite der Realpolitik. Bayern wird den Kontakt mit Moskau bald wieder intensivieren.

Da passt Guttenbergs Konferenzverhalten plötzlich wieder gut ins Bild.

Kommentar

Vor rund zwei Jahren las ich ein Buch namens „Digitale Rationalität und das Ende des kommunikativen Handelns“ von einem mir damals unbekannten Autor. Es war Byung-Chul Han, der seitdem als Superstar der Philosophie durch die Medien gereicht wird. Ich konnte mit diesem Buch allerdings recht wenig anfangen, denn es lebte davon, an vermeintlich passender Stelle ein paar gewichtige Namen zu nennen und eine unausgegorene These zu präsentieren. Mir ist seitdem nicht ganz klar, woher der Hype um diese Person kommt. Nun stieß ich durch Zufall auf ein Interview des Herrn, das rund ein Jahr alt ist. Die Fragesteller waren zutiefst beeindruckt und machten daraus auch keinen Hehl.

Es traten nämlich ständig Straßenmusiker an unseren Tisch, die ihre Instrumente bedenklich nahe am Aufnahmegerät postierten und gut gelaunt loslegten. [..] Aber Byung-Chul Han spricht sehr konzentriert, man meint, ihm zusehen zu können, wie er die Gedanken formt, bis sie schließlich zu Sätzen werden, die er dann präzise aneinanderreiht. Seine Aufmerksamkeit gilt in solchen Momenten ganz und gar den Gedanken – und nicht den Menschen, denen er sie unterbreitet. 

Von der Zeit ist man solche Distanzlosigkeit leider gewöhnt. Es scheint mir dort nicht nur gelegentlich das Konzept zu sein, einen Raum zu schaffen, in dem sich alle lieb haben und bewundern. Jedenfalls geht aus dem Interview sehr klar hervor, was mein Problem mit Byung-Chul Han ist.

ZEIT Wissen: Was machen Sie, wenn Sie nicht schlafen können?

Han: Was ich mache? Ich liege da. Zu dem anderen Punkt: Bin ich gern auf der Welt? Wie kann man in dieser falschen Welt gern sein? Das geht nicht. Deshalb bin ich auch nicht glücklich. Ich verstehe die Welt oft nicht. Sie erscheint mir sehr absurd. Im Absurden kann man nicht glücklich sein. Fürs Glück braucht man, so denke ich, viel Illusion.

ZEIT Wissen: Sie freuen sich an …?

Han: An was?

ZEIT Wissen: Irgendwas!

Han: An der Welt kann ich mich nicht freuen.

Da war Adorno prägnanter und glaubwürdiger. Bei Han aber ist es etwas anderes. Der sonderbare Versuch, originell sein zu wollen.

Denken besteht darin, Ähnlichkeiten wahrzunehmen.

Und zwar nicht durch Gedanken, denn seine Gedanken kennen wir alle schon von anderen, sondern durch seine Beispiele und Herleitungen, die dann noch mit großen Namen versetzt sind. Die einzige Frage, die sich durch diesen Denker stellen lässt, lautet: Was passiert, wenn man beim Denken nicht die Liebe zur Welt mitdenken kann?

Dann passiert genau das, was in dem Interview passiert ist. Das System gilt als perfekt inszeniert und organisiert, es gibt keinen Ausweg und wir sind unfreie Sklaven, die gemäß den Vorgaben der Konzerne agieren und anschließend noch kostenlos für sie werben. Verschwörungstheorie als Philosophie.

Dabei ist die Kritik am Konsum nur eine Kritik an der Mehrheitsgesellschaft, die jeder jederzeit, also in jedem Zeitalter, an dem Treiben der Mehrheit führen kann. Was die Mehrheit tut, ist immer das System. Man kann das gut finden oder auch nicht. Eine philosophische Erkenntnis lässt sich daraus aber nur bedingt ziehen, denn was einer als falsch empfindet, kann für die Vielen richtig sein. Man müsste sich mit der Differenz zwischen Individuum und Publikum / Masse beschäftigen, wenn man daraus etwas sinnvolles ziehen möchte. Was aber getan wird, ist das Empfinden des Individuums über das Gemeinschaftliche zu stellen, ihm also einseitig die Erkenntnis einer Wahrheit zuzusprechen.

Es ist aber eine Verwechslung zwischen der Kritk an dem System und dem Konstituieren der Vielen. Das heißt, dieses Denken trifft einen Nerv. Es entlastet jeden, der es aufnehmen möchte, in dem was er tut. Er oder sie kann ja ohnehin nicht anders. Das System ist Schuld. Die Kritik hat Erfolg, weil sie nicht der Kritik dient.

Übersehen wird:

In der westlichen Hemisphäre bedeutet Freiheit Verantwortung für einen selbst wie auch für andere. Oder wie die Bibel es sagen würde: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Nichts ist einfach nur Ich.

Der Punkt ist, dass Han immer nur vom Individuum ausgeht und vom System. Er ist in der Lage über Netzwerke zu sprechen und dabei nicht zu sehen, dass auch Individuen Netzwerke bilden können und aus diesen Netzwerken heraus „das Politische“ entsteht, die Handlungsfähigkeit und die Möglichkeit zur Veränderung. Als Menschen sind wir, um ein paar Beispiele zu nennen, Masse, Publikum, Familie und Individuum. Das Politische ist eine stetes Verhandeln zwischen den verschiedenen Daseinsformen mit ihren ganz unterschiedlichen Verantwortungsformen. Wären wir uns derer immer bewusst, würden wir die Welt anders gestalten als wir es momentan tun. Freiheit ist demnach, sich seiner Funktionen als Mensch bewusst zu werden um nicht mehr nur ein funktionierender Mensch zu sein. Es lebt nur der Gestalter.

Der Grund, warum ich hier mit der Bibel aufwarte, ist zumindest den Hinweis darauf zu geben, wieviel Menschheitsgeschichte dieses sonderbare Ignorieren Hans, das sich als Denken tarnt, hinwegfegt. Wenn irgendwo ein Abendland zerstört wird, dann an dieser Stelle. Der gleiche Han bringt es mittlerweile fertig, genau das, was sein Denken befördert und in sich trägt, als Problem unserer Gesellschaft zu definieren. Das Wort Neoliberalismus taugt immer als Gefäß. Dass er bei sich anfangen muss und sollte, scheint ihm dabei nicht gewahr. Am Ende ist auch noch sein Denken inkonsistent.

Themen in Beobachtung

Vor einiger Zeit hatte ich bereits auf die Seidenstraße-Recherche des Wirtschaftsblattes hingewiesen. Die FT zieht nun nach, widmet sich dem Thema aber weniger aus der Sicht Osteuropas, sondern steuert allgemein geopolitische Aspekte bei. Auch widmet man sich verstärkt den Problem in China selbst.

A push into central Asia will partly fill the vacuum left by the retreat of Moscow after the cold war, followed by Washington’s military pullback from Afghanistan next year. With Beijing saying it is facing a rising terrorist threat, stabilising the wider region is a priority.

But, in doing so, China will inherit the same chicken and egg problem that has plagued the US in its “nation building” attempts — having to ask whether security and stability is a pre-requisite for economic development, or whether, as Beijing appears to believe, it can pacify local conflicts with a sea of investment and infrastructure spending.

Durch dieses Projekt werden sich die Regeln für den weltweiten Handel stark verändern. Gerade für Deutschland ist die Entwicklung enorm wichtig. Wenn ich raten müsste, warum Merkel entgegen dem Drängen der USA Deutschland zum viertgrößten Partner der asiatischen Infrastrukturbank (AIIB) gemacht hat, dann würde ich auch in der Seidenstraße einen Grund sehen. (Es sind ja immer mehrere, wie bspw. Abhängigkeiten und Alternativen.) Deutschland hält 4,1%. Mehr halten nur China, Indien und Russland.

Der interessanteste Aspekt des Artikels ist aber eigentlich gar nicht die Seidenstraße, sondern die Tatsache, dass China vor ein paar harten außenpolitischen Entscheidungen steht. Eine davon könnte sein, künftig Militärbasen in anderen Ländern zu pflegen um die eigenen industriellen Tätigkeiten zu beschützen. In Afghanistan tun das momentan bspw. die USA mit einer chinesischen Kupfermine. Wird dieser Schritt erst einmal gegangen, beginnen sich die geopolitischen Gleichgewichte ernsthaft zu verschieben. Da mag noch soviel bürokratisches Fehlverhalten im Spiel sein, die Dynamik kommt dann plötzlich von oben.

Erderwärmung

Das Thema Erderwärmung ist so abstrakt, dass Bilder helfen. In dem Sinne wird sie dokumentiert und daraus kann auch Kunst entstehen. Doch die Botschaft ist klar. Da passiert etwas und es wird uns betreffen. Auf der antarktischen Halbinsel wird dieser Vorgang für uns sichtbar.

Nächste Buchrezension im Blog:

  • Robert James Fletcher – Inseln der Illusionen

Buch (am Lesen):

  • Saskia Sassen  – Ausgrenzungen: Brutalität und Komplexität in der globalen Wirtschaft (Auf das Buch stieß ich während meines Berlin-Besuchs. Es passt sehr gut zu den vielen Gesprächen die ich führte und die hier noch zu verarbeiten sein werden.)Wendy Brown – Die schleichende Revolution: Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört (Es ist mir entgangen, dass

Bücher (zu lesen):

  • Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
  • Katja Gloger – Putins Welt (Der Berlin Verlag stellt mir netterweise eine Rezensionsexemplar zur Verfügung. Das Buch kommt in die Reihe, da mir mehrere Empfehlungen zukamen. Ich versuche keine Erwartungen hineinzulegen.)
  • Ray Bradbury – Fahrenheit 451 (Für mich dann abschließendes Werk aus der (Gegenwartsdystopie-Reihe.)
Marco Herack
Marco Herack

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Category Notizen

One Comment

  1. Guttenbergs Teilnahme und US-Berichterstattung fiel mir auch auf.

    Ähnlichkeiten festzumachen ist nicht das Denken, sondern prälogisch. Han meint mehr die Synchronizität von Phänomenen.

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