Heute geht es um Syrien und die Nebenkonflikte, die durch diesen Krieg und seine Krisen ausgelöst werden. Außerdem um aggressive Steinewerfer und sich verändernden PR-Journalismus.
Da ich demnächst Urlaub habe, wird es hier bis zum 29. September etwas ruhiger.
Kommentar
Ad blockers are just going to drive more native advertising, and blur the lines between news, marketing and advertising even more.
— Jeremy Zilar (@jeremyzilar) 17. September 2015
Mit diesem Kommentar dürfte Jeremy Zilar in erster Linie recht haben. In den USA ist dieser Trend viel weiter fortgeschritten als hierzulande und entsprechend sichtbarer. Es besteht ein Medienüberangebot, weswegen die Preise für Journalismus recht niedrig sind. Gleiches gilt für die Werbepreise. Sie wären ohne Adblocker aber vermutlich noch niedriger, da dann das Angebot entsprechend höher wäre. Die Anbieter weigern sich selbstredend, einfach pleite zu gehen, damit der Markt sich bereingt. Stattdessen suchen sie nach alternativen Einnahmequellen. Viele Möglichkeiten haben sie dabei nicht. Eine naheliegende ist gekaufte Artikel. Ob sich das aber auch durchsetzt, wird am Ende wieder am Verbraucher liegen, denn ohne den geht gar nichts. Das Hauptspielfeld dieser Entwicklung scheint mir momentan die Washington Post zu sein. Was sie unter Jeff Bezos aufbaut, würde ich zumindest teilweise als journalistisches Werbenetzwerk bezeichnen. Das heißt, die guten Anleihen der alten Post kombinieren sich mit den Prinzipien der kostenlosen Zeitungen und der Datenaffinität von Amazon. Auch die Öffnung des Redaktionssystems für andere Anbieter, erinnert frappierend an die Drittanbieter auf Amazon.
Die Frage scheint, ob sich hier ein neues Genre herausbildet. Das sonderbare am Verhalten des Publikums im Internet scheint mir, dass man sich freiwillig mit Werbung umgibt. Man folgt den Marken auf Twitter oder likt sie auf Facebook um dann ihre Informationen zu konsumieren, die das spätere Einkaufserlebnis um Aspekte der Identifikation erweitern. Gebilde wie die Washington Post sind in diesem Sinne eher folgerichtig und werden auf Dauer zu einem Teil der Warenwelt, die der Einzelne sich individuell zusammenstellt, dessen Bedeutsamkeit sich jedoch erst durch Ein- und Abgrenzung von Gruppen erzeugen lässt.
Das schließt guten Journalismus nicht aus, weist ihm aber keinen herausragenden Platz zu, eher einen teilnehmenden. Journalismus mit herausragender Bedeutung, würde es in diesem Konstrukt nur bei Spezialisten geben. Bedeutung wiederum ist nicht gleichzusetzen mit Qualität. Der Gedanke hilft vielleicht dabei, die drohende Segmentierung greifbarer zu machen.
Themen in Beobachtung
- Der Westen ist verloren und das wird an UK sichtbar (New Statesman)
Es ist eine volle Dosis Dystopie, die John Bew über seine Leserinnen ausschüttet. An Syrien wird das komplette Versagen der westliche Geopolitik sichtbar. Da das Ziel seiner Analyse Großbritannien ist, könnten wir uns fast zurücklehnen. Doch so einfach ist es nicht, denn an UK wird das Dilemma des momentanen Machtvakuums sichtbar. Kein westliches Land möchte sich in einen Krieg verwickeln lassen. Man hat wenig zu gewinnen, muss hohe Kosten in Kauf nehmen und ist ein wenig müde, sich um die Welt zu kümmern. Ohnehin, die Welt.
Of course, one option is for Britain to decide, as Corbyn has suggested, that it is a small island on the north-west coast of Europe and to behave accordingly. This position will certainly find advocates on the far left and far right of British politics. Another option is to accept that Britain has a stake, and an interest, in some sort of world order, and that leaving others to prop it up has not worked out well in the past.
Europa steht vor der Entscheidung, ob es sich mehr um die Geopolitik kümmert oder nur noch um sich. Angela Merkel hat hierzu eine klare Aussage getroffen. Sie kümmert sich um die Folgen des bisherigen Nicht-Kümmerns. Was bedeuten könnte, dass man sich in Deutschland demnächst mehr einmischen wird. Siehe hierzu auch den Vorstoß von Ursula von der Leyen und Joachim Gauck, die bereits letztes Jahr einen Krieg für Menschenrechte zu führen bereit waren. Ob man Angela Merkel dann hierzulande noch zujubelt, wie das momentan der Fall ist, wage ich zu bezweifeln.
Es scheint mir aber auch die beste Möglichkeit zu sein, sich klar gegen ein inhaltlich neues Bündnis zu stellen, das sich politisch anbahnt. Der rechte und der linke Rand erkennt seine Gemeinsamkeiten und versucht diese politisch zunehmend auszuspielen. Dass die Rolle des starken Mannes in Syrien nun von Russland besetzt wird, ist in diesem Sinne kein Zufall. Sie fällt zusammen mit der Akzeptanz, dieser lagerübergreifenden Bewegung, gegenüber eines starken Mannes namens Wladimir Wladimirowitsch Putin.
- Können Steinwürfe einen Krieg rechtfertigen? (The Atlantic)
Das ist wohl so etwas wie Mindfuck. Israel führt jetzt Krieg gegen Steinewerfer.
Migrants and Refugees Test Lesbos‘ Limits: Breaking Borders (Dispatch 5)
Nächste Buchrezension im Blog:
- Robert James Fletcher – Inseln der Illusionen
Buch (am Lesen):
- Atef Abu Saif: Frühstück mit der Drohne (Aus der Sicht einer Privatperson. Angeblich mit Aussparung von Propaganda. Ein neues Genre?)
Bücher (zu lesen):
- John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
- Lena Gorelik: Null bis unendlich (Ich schätze Lena Gorelik sehr. Sie hat in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht, dieser Roman könnte ihr Durchbruch sein.)
- Sabine Rennefanz: Die Mutter meiner Mutter (Von ihrem Erstling “Eisenkinder” war ich sehr begeistert. Hier auch ein Podcast mit der Autorin. Nun hat sie eigentlich noch einen Erstling veröffentlicht. Der erste Roman. Eine Prognose wage ich nicht.)