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ISIS und das mediale Dschungelcamp

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf boulevardeske Medienkritik und was daraus für die reguläre Berichterstattung folgt. Das Thema ISIS und seine Finanzierung kommt erneut vor und ein Hinweis auf sich verändernde Handelswege.

Im Oman will man sein.

Kommentar

Medienkritik ist im Internet so erfolgreich bei den Leserinnen, dass die Medien sich nach jedem Großereignis mittlerweile ritualisiert selbst kritisieren. Aktuell wäre da die Feststellung, dass man über die Opfer von Paris trauert, nicht aber über die Opfer von Beirut oder anderen Orten der Welt. Gleichzeitig fahren die Medien, die sich dafür selbst krisieren, das Thema ISIS und Paris mit dem Tunnelblick, der diese Ignoranz gegenüber Vorkommnissen wie Beirut erst auslöste.

Wer wissen möchte, was deutsche Medienmacher von ihren Lesern halten, muss sich nur die deutsche Seite des Businessinsiders anschauen. Finanziert von Springer, sieht man dort so die Zukunft. Bento sieht ähnlich aus, ist aber nicht für Erwachsene gedacht.

In diesem Sinne wirkt die ritualisierte Selbstkritik der Medien mittlerweile auf mich. „Es rentiert sich“. Man tut, was man immer tut, denn Kritik, die sich rentiert, tut nicht weh. Im Gegenteil, man kann sich das nächste Mal ja wieder kritisieren und verdient dann noch daran. Anders gesagt: man nimmt den Leser nicht ernst und kämpft auch gar nicht erst um ihn.

Der Ursprung dieser ritualisierten Medienkritik darf in Deutschland getrost bei Stefan Niggemeier gesucht werden. Sein „schaut euch diesen ekelhaften Journalismus an“-Stil ist die Überspitzung dieses Treibens, vor allem aber eine Kopie der Kommentierung des Dschungelcamps. Die wiederum basierte schon immer auf einer bildungsbürgerlichen Wahrheit. „Schaut euch diesen ekelhaften Porno an“, womit auch sichtbar wird, warum dieser reality-TVeske Stil auch in den bürgerlichen Gefilden einer Zeitung stattfinden kann. Es geht nicht um die Inhalte, es geht um die Belustigung und das Gefühl der Erhabenheit gegenüber dem, was man da betrachtet. Für die Medien aber, die das betrifft, rentiert sich auch die Kritik. Hauptsache es geht viral und steigert die Zugriffsraten.

In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass es explizit Formate gibt, die sich an der Empörung über die Art der Berichterstattung orientieren. Niggemeier, als Medienjournalist mit der größten Verbreitung, wird dadurch zum Dieter Bohlen, der mit seiner Entscheidung über die Berichterstattung Noten verteilt. Je mieser das Abwatschen desto erfolgreicher das Produkt.

Würde es nicht zu dem führen, was wir nun vorfinden, müsste das niemand kümmern. Problematisch ist diese Entwicklung, weil sie sich nicht mehr nur um ihre Formate kümmert, die der Stern oder Focus besonders gerne für „die Berichterstattung“ nutzen, sondern sich auf Themen ausweitet, die einer größeren Ernsthaftigkeit unterliegen. Diffuse Gefühle und boulevardesk aufbereitete Beobachtungen sind nicht dazu geeignet um internationale Konflikte zu beurteilen.

Nebenbei gibt es eine zweite Bewegung, mit der ich hier aufgrund meines eigenen Treibens mehr anfangen kann. Es mehren sich die Angebote, die den Artikelstrom kuratieren. Auffällig ist dabei, dass kaum Videos, Bilder und Artikel zusammengedacht werden. Und, was eigentlich viel schlimmer ist, man belässt es beim Kuratieren. Eine Einordnung findet nicht statt, sie wird komplett der Leserin überlassen.

Es ist erstaunlich, dass wir jeden einzelnen Schritt wieder gehen lernen müssen. Dass niemand es wagt, den Medienstrom zu nehmen, zu kommentieren, auszuarbeiten, einzuordnen, zu ergänzen oder ähnliches. Dabei ist diese Entwicklung jetzt schon vorgezeichnet, denn Journalismus findet dadurch zu seinem Ursprung zurück. Was nichts weiter bedeutet als zurück zu dem, was heute noch als Verkaufsargument benutzt wird, aber schon länger nicht mehr in einem großen Rahmen stattfindet. Das ist die Bewegung weg von der Geschichte, hin zum Geschehen.

Gerade in einer Zeit, in der die Berichterstattung selbst sich schon um die Metabetrachtung kümmert, ist dieser weitere Schritt nur konsequent. Er bringt vor allem eine gewisse Selbstregulierung in das bestehende Bericherstattungssystem, das Medienkritiker aufgrund oben gezeichneter Marktlage nicht leisten können.

Zugegeben, meine Gedanken zu den Themen orientieren sich an der Entwicklung des Blogs. Es ist aber auch umgekehrt. Und nein, piqd ist keine Lösung, eher ein schwacher Erläuterungsansatz.

Themen in Beobachtung

Nachdem ich bzgl. der Anschläge in Paris vor allem das Thema Russland in den Vordergrund stellte und dabei auch herausarbeitete, dass die Bombardierung des Öl-Handels von ISIS strukturell nicht so einfach ist, an dieser Stelle noch ein Hinweis zur weiteren Finanzierung der Organisation. Denn Öl, so einträglich es auch ist, spielt nicht zwangsläufig die ihm zugesprochene Schlüsselrolle.

Unlike al Qaeda, which uses the financial system to raise revenues from abroad, Islamic State raises funds internally in the territory it occupies in Syria and Iraq, including some $500 million annually in oil revenue and hundreds of millions raised through extortion and taxation, the senior administration official said.

Bei allem, was wir hier im Westen ungerne über den IS sagen mögen, so ist die Bezeichnung „Staat“ in jedem Fall ernst zu nehmen. Das hat vor allem ökonomische Gründe, denn diese Selbstbezeichnung gilt auf der strukturellen Ebene. Es existieren Steuereinnahmen und Wohlfahrtsausgaben. Keineswegs ernährt sich das Gebilde nur von Öl.

It’s hard to measure the size or scale of the Islamic State’s economy, given that it doesn’t report traditional financial data like other countries. But multiple reports indicate its economy is booming. In 2014, the last year for which data is available, a Thomson Reuters study found that the group controlled assets in excess of $2 trillion and had an annual income amounting to $2.9 billion.

Unabhängig davon gehört zu einer Kriegsökonomie, dass sie Einnahmen durch Eroberung, Plünderung und Erpressung generiert. Alles Einnahmen, die erst mit Beendigung des Krieges nicht mehr fließen. Bisher war die US-Strategie, dem IS stückweise das Land zu nehmen und somit auch seine Einnahmen und Versorgungsrouten immer weiter einzuschränken. Genau dagegen agitiert nun Russland, das diese Strategie als nicht erfolgreich deklariert. Derweil lässt Putin öffentlichkeitswirksam ein paar Muskeln gen IS spielen, doch scheint er seine Strategie im Kern nicht zu ändern. Im Bunde mit Assad werden immer wieder Krankenhäuser und Zivilisten bombardiert.

Da hierzulande ja immer die Amis schuld sind, vielleicht eine generelle Anmerkung: Es gibt in solch einem Konflikt nicht die Möglichkeit eines „richtigen“ Handelns. Jede Strategie hat ihre Vor- und Nachteile. In Sachen Syrien ist eines der Probleme, dass sich die westlichen Mächte bisher auf ISIS konzentrierten, mit Rücksichtnahme auf Russland und China nicht aber auf Assad. Assad war immer nur ein Gegner, den es über Bande zu treffen galt. Insofern hat sich die Lage wenig geändert, wenn man nun meint, ISIS in den Fokus rücken zu müssen.

Ein Hintergrundbericht des Dradios beschäftigt sich mit dem Sultanat Oman, einem der stabilen Staaten im Nahen Osten, gelegen am persischen Golf. Beim Zuhören wird einem recht schnell klar, wie stark dieses Land auf seinen Sultan zugeschnitten ist. Der freundliche Diktator, gelegentlich gibt es ihn. Die Schwierigkeiten entstehen in der Zeit nach dem Abbleben. Und dann die ewige Abhängigkeit vom Öl.

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Der Oman hat unmittelbar nach Beginn des Proxy-Kriegs zwischen Saudi Arabien und dem Iran im Jemen rund 5.000 Flüchtlinge aufgenommen. Landschaftlich dürfte es sich um eine der wundervollsten Regionen dieser Erde handeln. Ein Problem sind aber freilaufende Kamale, die besonders des Nachts die Unfallgefahr für Autos erhöhen. Die Statistiken sehen entsprechend unschön aus. Das muss nicht stören, bei der geringen Bevölkerungsdichte. Heißt: die Statistiken sind eher unbrauchbar zur Abschätzung der realen Gefahr.

Worüber weniger oft gesprochen wird: Das Land ist, bspw. über den Hafen von al-Chasab, ein emsiger Umschlagplatz für Schmuggelware in den und aus dem Iran. Während in den Iran klassischerweise Elektronik und westliche Genußgüter geschmuggelt werden, kommen aus dem Iran Schafe. Diese sollen besonders schmackhaft sein, da kommt kein anderer ran. So offenherzig wie der Schmuggel stattfindet, brauchen wir uns über die Sanktionen wohl nicht wirklich unterhalten.

In Australien läuft gerade eine große Diskussion darüber, ob es clever ist, China einen Hafen für 99 Jahre zu leihen. Aus Deutschland heraus betrachtet, sehe ich nicht, dass Verträge dieser Art jemals zu etwas Gutem führten. Im Gegenteil. Aber vielleicht sind die Chinesen ja netter als US-Investmentbanken. Das passt ganz gut zu einer Beobachtung in der chinesischen Produktion.

Wegen steigender Löhne will beispielsweise der Handyhersteller Samsung 80 Prozent seiner Produktion nach Vietnam verlagern. Und Foxconn, Hersteller von Elektronik- und Computerteilen, wird zwölf neue Werke errichten – alle in Indien. „Das führt zu einer Veränderung der Warenströme“, betonte Lin.

Indien ist wirklich ein schwierig Land, mit dem wir hier im Westen keine sehr guten Outsourcing-Erfahrungen machten. Aber es wird auch gerne vergessen, wenn es um die Zukunft geht. Dass diese Verlagerungen wegen des Preises in China geschehen ist nur die halbe Wahrheit. Es ist auch die zunehmend schwieriger zu kalkulierende Rechtslage, die Unternehmen dort zu schaffen macht. Da China aber auch einen großteil der Förderung seltener Erden für sich beanspruchen kann, besitzt es einige Bindungszwänge für Elektronikkonzerne. Den Export dieser Rohstoffe hält es jedenfalls fest im Griff und ist nicht allzu ausschweifend damit.

Odessa

Das schöne an Vice News ist, dass sie meiner Ideenlage recht gut entsprechen. Vor drei-vier Wochen dachte ich mir, dass es längst an der Zeit ist, genauer auf Odessa zu schauen. Es existiert zwar eine stete Berichterstattung, aber so richtig tief mochte noch keiner reinschauen. Nur leider ist die Gewichtung des Berichts vollkommen überholt, da die Frage, ob Saakaschwili  nun der richtige Mann ist oder nicht, bereits mehrfach verhandelt wurde. Er ist lange genug im Amt um sich seiner Ergebnisse abseits selbstgedrehter Erfolgsvideos auf Youtube widmen zu können. Besser macht es der Economist.

Nächste Buchrezension im Blog

  • Katja Gloger – Putins Welt (Der Berlin Verlag stellt mir netterweise eine Rezensionsexemplar zur Verfügung. Das Buch kommt in die Reihe, da mir mehrere Empfehlungen zukamen. Ich versuche keine Erwartungen hineinzulegen.)
  • Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)

Buch (am Lesen)

  • Ilja Ilf und Jewgeni Petrow – Kolokolamsk (Kurzgeschichten über das Russland der Stalinzeit. Sehr amüsant, wenn man denn auch einen Bezug zu dieser Epoche hat.)

Bücher (zu lesen)

  • John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
  • Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
  • Navid Kermani – Zwischen Koran und Kafka: West-östliche Erkundungen (Kermani mag ich sehr, weil er versucht die Welten zu verbinden und genau das ist es, was auch wir hier viel mehr brauchen.)
  • H.D. Thoreau – Essays (Nur wegen Trudeau, den viele mit Thoreau verwechseln.)

Aktuelles Spiel

  • Fallout 4 (Die ersten 6h haben mich nur bedingt überzeugt. Gleichwoh, ich brauche auch immer so meine 10h, um mit solchen Welten warm zu werden. )
Marco Herack
Marco Herack

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