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Paris: Wie Russland die Anschläge für seine Interessen nutzt

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf die Folgen der Anschläge in Paris für den Krieg in Syrien. Die Darstellung ist etwas ausführlicher geworden, was dann wiederum zu Lasten der Links geht.

Auch wenn momentan Vieles von oben kommt, wird doch nicht alles von Gott geworfen.

Kommentar

Plötzlich interessiert sich jeder für Außenpolitik. Und das Erschreckende daran ist, dass erst dadurch sichtbar wird, wie weit die deutsche Informationslage der Sache an sich mal wieder hinterherhinkt. Meinem Eindruck nach entsteht diese Schieflage vor allem dadurch, dass sich viele Artikel den Dingen mit einer gewissen Monothematik widmen. Jetzt ist es ISIS, über die man alles zu erfahren gedenkt. Aber die Lage ist natürlich komplexer und die Protagonisten in Syrien und im Irak haben sich nicht geändert. Ohnehin hat sich wenig geändert.

In diesem Sinne wird die bisherige Linie der täglichen Nachrichtensammlung und Analyseansätze hier auch weiterverfolgt. Im konkreten Fall werde ich mich demnach weniger mit den Anschlägen direkt beschäftigen, als vielmehr mit dem veränderten Handeln der Protagonisten im Kriegsgebiet. Dabei steht momentan weniger ISIS im Fokus, sondern vielmehr Frankreich und Russland.

Russland hat nach den Anschlägen in Paris zwei wesentliche Informationen lanciert, die momentan wichtiger sind als das Verhalten Frankreichs:

  1. Der Absturz der russischen Maschine in Ägypten wurde seitens des Geheimdienstes FSB als Terroranschlag deklariert. Das war zwar zu erwarten und wurde seitens der Partner aus Deutschland und den USA bereits bekanntgegeben, doch die offizielle Meldung passt nun besser in die Strategie. Russland plant seine Luftschläge in Syrien zu verstärken.
  2. Putin lancierte eine altbekannte Nachricht, dernach ISIS sich durch Ölverkäufe finanzierte.

Während bei Fefe daher nun das große Verständnis für Putin ausbricht, verweise ich an dieser Stelle gerne nochmals auf eine Recherche der FT, die am 14. Oktober 2015 veröffentlicht wurde. Ja, ISIS hat einen großen Öl-Handel am Laufen. Vor allem aber verkauft ISIS sein Öl an seine Gegner. Die USA wie auch andere haben diese Versorgung nicht unter Beschuss genommen, weil die gegen Assad wie auch gegen ISIS kämpfende Opposition, seien es die Kurden, die FSA oder die Al Nusra-Front, dieses Öl zum kämpfen brauchen. Im Gegensatz zu Fefe weiß Putin solche Dinge und nutzt sie nun für sich.

Luftschläge gegen den Öl-Handel von ISIS schwächen vor allem Assads-Gegner. Wenn Russland jetzt beginnt in Syrien aktiver zu werden und gleichzeitig die Öl-Quellen oder den Öl-Handel von ISIS zu bombardieren, dann kann Assad mit Hilfe Russlands und der vom Iran finanzierten Bodentruppen der Hezbollah seine Gebietskontrolle ausweiten. Derweil könnten die von Russland wie auch von den USA gestützten Kurden in Nord-Syrien, die sich am Ende neutral verhalten werden, ihre Gebiete durch den Kampf gegen ISIS ausweiten. Dass es den Kurden aktiv darum geht, sieht man an der Berichterstattung von Amnesty, die dokumentierten, wie die Kurden nach der Gebietsnahme die Menschen vertrieben. Verlierer bei dem Spiel ist die syrische Opposition.

Eine Schlüsselrolle wird nun Frankreich einnehmen, das gerade versucht eine Art Bündnisfall einzufordern. Die Wortwahl ist nicht gänzlich gen Nato gerichtet, eher gen Europa. Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, heißt es da. Die Gefahr ist, und deswegen muss auf Russland geachtet werden, dass Frankreich in einer Überreraktion nicht nur den geostrategischen Gelüsten Russlands in die Hände spielt, sondern mit Russland ein militärisches „Bündnis gegen den Terror“ schmiedet. Auch wenn diese Volte eher unwahrscheinlich ist, führt diese potenzielle Möglichkeit zu einem gewissen Druck. Um diesen Dreh nicht zu befördern, werden die französischen Partner eine spürbare Unterstützung liefern müssen. Dazu gehört auch Deutschland.

An dieser Stelle sei mir ein kurzer Rückschwenk erlaubt, damit die Lage abgerundet dargestellt werden kann.

Die USA haben in Sachen Syrien von Anfang an auf Zeit gespielt. Ich weiß bis heute nicht, ob diese Strategie clever oder dämlich war (, weil auch eine falsche Handlung zu einem richtigen Ergebnis führen kann). Das plötzliche Eingreifen Russlands in den Syrien-Krieg, das zwar stark wirkte, bis heute aber nicht zu einer Ausweitung des Anspruchsraumes von Assad führte, sondern nur zu einer Stabilisierung des bestehenden Raumes, weist mE darauf hin, dass Assad kurz vorm Zusammenbruch stand. Insofern scheint mir das Vorgehen der USA einen gewissen, blutig erkauften, Erfolg gehabt zu haben.

Das Eingreifen Putins führte zu einer leisen Veränderung dieser Strategie. Die Unterstützung der Kurden wurde erweitert und man konzentrierte sich mehr auf den Kampf gegen ISIS im Irak. Der große Verlierer dabei war die Türkei, der nach wie vor eine autonome kurdische Region in Nordsyrien droht. Derweil gibt es Hinweise, dass Waffenlieferungen durch die Unterstützer der syrischen Rebellen sich entsprechend der neuen Lage anpassten. Ob die Rebellen in Bälde in der Lage gewesen wären (/oder sind) russische Kampfjetzt abzuschießen, wie kolportiert wurde, kann meinerseits bis heute nicht verifiziert werden. Bis zu den Anschlägen in Frankreich schien zwischen Assad und den Rebellen eine Pattsituation zu herrschen. Der IS hingegen konnte in ein paar Lücken entgegen Assad vordringen. Inwieweit die bisherigen Maßnahmen gereicht hätten, mit denen Russland, der Iran und Assad dem entgegenwirkten, kann nun nicht mehr geklärt werden, da sich die Gesamtlage verändert.

Vieles deutet darauf hin, dass der größte Feind von Putins Strategie die Zeit ist. Je länger eine Lösung dauert, desto mehr wird er in Syrien in Rückenlage geraten. Die Anschläge in Paris bieten Russland erstmals einen Ausweg aus dieser Situation an. Es liegt jetzt an dem Verhalten Frankreichs, ob es das bisherige Vorgehen der USA „beschleunigt“, und somit konterkariert wird, oder ob man eine gewisse Kühle im Kopf behält.

Themen in Beobachtung

Mr Plevneliev added that Russian military was stepping up incursions into the “security zone” airspace over the Black Sea. “Since the Crimean crisis we have seen 10 times more violations of Russian military planes,” he said.

Die Anzeichen mehren sich, dass die Situation auf dem Balkan explosiver wird. Da Russland auf mehreren Seiten seine Finger über Waffenlieferungen und Bündnisse im Spiel hat, stellt sich zwangsläufig auch die Frage, ob man da nicht bewusst zündelt. In jedem Fall verdient es an diesen Konflikten zu einer weiteren Sicherheitsbedrohung an der europäischen Peripherie führt. Ende Oktober fand sich an dieser Stelle erstmals ein Hinweis auf die Problemlage. Die verlinkte Analyse ist immer noch aktuell.

Auch wenn es kürzlich seitens Anonymous zu einer Kriegserklärung gen ISIS per YouTube kam, so läuft dieser Kampf schon länger. Foreign Policy hat dazu einiges an Hintergrund zusammengetragen. Aus diesem Kampf hat sich bspw. die „Ghost Security Group“ ergeben. Warum diese wiederum in ihrem „Werbevideo“ vor allem mit Material des russischen Propagandasenders RT arbeitet, darf man sich ruhig fragen.

Ansonsten wird aber auch gut sichtbar, wie wenig die Aktionen von Anonymous wirklich bringen. Es scheint mir eher eine Spielerei zu sein. Eine positive, aber auch eine, die nicht überschätzt werden darf.

Die Russen kommen!

In Georgien ist das nicht nur ein Spruch älterer Herren.

 

Nächste Buchrezension im Blog

  • Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)

Buch (am Lesen)

  • H.D. Thoreau – Essays (Nur wegen Trudeau, den viele mit Thoreau verwechseln.)

Bücher (zu lesen)

  • John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
  • Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
  • Navid Kermani – Zwischen Koran und Kafka: West-östliche Erkundungen (Kermani mag ich sehr, weil er versucht die Welten zu verbinden und genau das ist es, was auch wir hier viel mehr brauchen.)
Marco Herack
Marco Herack

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