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Die Merkeldämmerung und ihre journalistischen Freunde

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf Deutschland und sein gieriges Verlangen nach der Merkeldämmerung.

Ein Bild zum Objekt des gestrigen Überraschungsartikels.

Terminhinweis:

Am Freitag um 19:20 Uhr wird Angela Merkel im ZDF in der Sendung „Was nun…?“ ein paar Fragen beantworten. Es geht um Flüchtlinge.

Kommentar

Momentan passiert etwas sonderbares. Es wird über eine Merkeldämmerung philosophiert. Der Auslöser ist die Flüchtlingsdebatte und die starken Wortführer finden sich durchweg in Menschen, deren Applausradius gefühlt hoch ist. Tiedje wäre so ein Fall, aber auch die Kommentare aus dem Spektrum der FAZ, die immer weiter nach rechts kippt und sich in Teilen offen zum Sprachrohr der Rechtspopulisten macht.

Damit habe ich an für sich kein Problem, denn ich bin der festen Überzeugung, dass die Rechten einen Sprachrohr brauchen und nur so wieder eingemeindet werden können. Worauf es aber zu achten gilt, sind die Details. In diesem Fall hat Frank Lübberding beispielsweise vergessen wollen, dass politischer Streit an für sich kein Problem ist. Im Gegenteil, er ist notwendig und vor nicht allzulanger Zeit hat er das bei Kritik an Linken auch noch gewusst. Nun ist er aber aufgrund seiner eigenen Überzeugungen zu dem Schluss gelangt, dass eine andere politische Überzeugung, als die eigene und die des Herrn Schäuble, problematisch ist und gelöst werden muss. Scheinbar durch den starken Mann.

Das alles findet in einem konservativ-bürgerlichen Umfeld statt, dass sich zunehmend auf die Bundeskanzlerin einschießt. Bernd Ulrich bemerkte zunächst die fehlende Unterstützung für Merkel und ließ es sich nicht nehmen, diese als Sturzgebarens gegenüber Merkel zu deuten. Auffällig ist dabei, dass die Kritiker Merkels sie bewusst nicht verstehen zu wollen scheinen. Denn meiner Analyse nach ist sie absolut auf der üblichen Unionslinie, findet dabei nur andere Worte. Sie zieht sogar eine klare Kompetenzlinie zwischen Innenministerium, Flüchtlingskoordinator und Kanzleramt. Letzteres kümmert sich um die Außenpolitik. Das war nicht bei nur Anne Will zu bemerken, sondern auch in der angeblich aufrührerischen Franktionssitzung, in der Thomas de Maizière zu seiner Dublin-Verordnung Stellung nahm. Merkel stellte sich auf seine Seite.

Man muss das alles nur hören wollen. Will man aber nicht, denn es gibt genau zwei Lesarten in der deutschen Medienlandschaft, die wiederum auf das Fußvolk in der Politik einwirkt.

Zunächst war es Angela Merkel die Heilige, die unter hohen moralischen Standards agierte. Während die einen noch jubelten, agitierten die anderen schon gegen sie und machten sie zur Alleinverantwortlichen. Unter dem Begriff Merkeldämmerung subsumiert sich nun die Änderung, dass Angela Merkel nicht mehr die Heilige ist, sondern vielmehr die gescheiterte Heilige, und ihre Gegner agitieren einfach weiter.

Es spricht vermutlich für sich, dass Artikel die auf Merkel rumhacken, einen hohen Zuspruch erhalten. Es ist die AfD, die den Kampfruf „Merkel muss weg!“ ausgegeben hat und in deren Horn man nun stößt. Artikel die das aufgreifen, erhalten entsprechend aus diesem Spektrum viel Zuspruch und Applaus. Wie ich in verschiedenen Gesprächen erfuhr, bekommen journalistische Angebote die entsprechend berichten, die Mehrzahl der Klicks aus der Internetecke des Koop-Verlages und ähnlich illustrer Publikationen.

Wie die generelle Funktionsweise bei Vorgängen dieser Art ist, konnte man just diese Woche bei Foreign Policy beobachten, die gleichzeitig einen Artikel pro und einen Artikel contra Islam veröffentlichten. Die Sharing-Schere ging nach dem Screenshot noch weiter auseinander.

fp-islam

Nun war ich bis vor kurzem nicht geneigt zu sagen, dass Merkel ein Problem bekommt. Aber vermutlich hat Bernd Ulrich vor zwei Wochen etwas richtiges wahrgenommen und dafür die schlechtmöglichste Darstellungsform bemüht. Zum einen setzte er Schäuble an die Spitze der Bewegung und Merkel bekommt gerade ein Problem, weil ihre Gegner ein Narrativ erzeugen, in dem sie eine andere Position bezieht als sie es eigentlich tut. Darüber müsste man sprechen, denn dieser Machtkampf entscheidet auch darüber, wie dieses Land mit den Flüchtlingen umgeht. Das Zusatznarrativ des Sturzes spielt nun diesen Kräften in die Hände. Sie haben Blut gerochen. Was aber richtig ist, ist das Erstarken der Konservativen. Diese Stärkung geht auf die verhinderte Pleite Griechenlands zurück, ist also ein Vorgang der nicht erst gestern geschah. Vor allem erfolgt er aber durch eine Mobilisierung der Rechtskonservativen, die seit Sarrazin offen und sichtlich gärte. Mit dem Krieg in der Ukraine erfuhr diese deutsche Subkultur einen Bindungsmoment, der durch die verhinderte Griechenlandpleite einen politischen Ausdruck fand. Es ist die Pointe dieses Vorgangs, dass jene die Lügenpresse schreien nun zusammen mit der zum Rechtskonservatismus neigenden Presse ins gleiche Horn stoßen.

Die ideologische Basis:

  • „Zwangsgebühr“
  • „Flüchtlingslawine“
  • „Griechenland-Rettung“

Ausgeblendete Konfliktlinien des Bündnisses:

  • „Lügenpresse“
  • „Grüne Männchen auf der Krim“
  • „Ukraine-Krieg“
  • „Russlands Beistand für Assad in Syrien“
  • Deutschlands Nato-Mitgliedschaft
  • Friedensvertrag und deutsche Souveränität
  • Überwachung durch die NSA

Es ist nicht so, dass Schäuble diese Nähe scheut, im Gegenteil, er macht sie sich verbal zu eigen. Es ist nur nicht die Ecke, in der er sich wohlfühlen wird. In dieser ganzen Debatte wird eines geflissentlich übersehen. Die Erfolge der Union entsprangen aus der „neuen Mitte“. Die CSU war immer dafür zuständig, dass es kein „Rechts von der Union“ gibt. Wenn Schäuble nun im gleichen Gewässer fischt und darüber versucht nach der Kanzlerschaft zu greifen, dann zerstört er nicht nur das Machtgleichgewicht innerhalb der Union, sondern auch die Wählerschaft selbst. Er macht die SPD wieder zur Alternative. Deswegen wagte Sigmar Gabriel sich gerade jetzt auch mit seinen Ambitionen gen Kanzlerschaft nach vorne.

Es ist ein wenig verwunderlich, dass bei dieser Entwicklung nun gerade die Grünen aus dem Fokus der Berichterstattung gefallen sind. Denn sie könnten das Zünglein an der Waage werden. Doch nicht, weil Merkel gestürzt wird, sondern weil sie aufgrund der aktuellen Entwicklung bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten könnte. Für mich die wahrscheinlichste Variante, bei der die aktuellen Ereignisse nur die Vorbeben des dazugehörigen unionsinternen Machtkampfes sind.

Die Merkeldämmerung, auch das kann man nicht ignorieren, scheint vor allem ein Projekt alter Herren zu sein. Der aufgestaute Frust des Dienstes unter Merkel.

Themen in Beobachtung

The Kremlin has taught Russians to believe that every bad thing is an act of aggression from some outside force. The Kremlin and Putin are not seen as responsible for the tragedy of the plane crash. Even if the decision to intervene in Syria was a disaster, it does not mean, in popular thinking, that Russia has to withdraw. Even if the Kremlin did not plan for a larger-scale campaign in Syria, it will now have to escalate.

Dem möchte ich etwas entgegenstellen.

This has led the Obama administration to pursue a strategycall it the ‘‘responsibility doctrine’’of prodding other influential nations (especially the pivotal BRICS countries of Brazil, Russia, India, China, and South Africa) to help shoulder the burden of fostering a stable, peaceful world order that delivers security and prosperity.1 With a more concerted and systematic push than widely recognized, the Obama administration has sought contributions from other nations to help address an extensive range of global challenges. Through incentives, cajoling, and coercion, it has made the pursuit of American-led collective action a hallmark of its foreign policy.

Was passiert, wenn zwei gegensätzliche Weltanschauungen und Strategien aufeinander treffen?

Armenien

Snapshot Armenia from Blanche on Vimeo.

Nächste Buchrezension im Blog:

  • Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)

Buch (am Lesen):

  • Ray Bradbury – Fahrenheit 451 (Für mich dann abschließendes Werk aus der (Gegenwartsdystopie-Reihe.)

Bücher (zu lesen):

  • John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
  • Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)
  • H.D. Thoreau – Essays (Nur wegen Trudeau, den viele mit Thoreau verwechseln.)
Marco Herack
Marco Herack

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Category Notizen

2 Comments

  1. Thorsten haupts Thorsten haupts

    Anmerkung zum Merkel-Kommentar:

    Ich halte das ganze – anders als Sie – im Moment für eine reine Medien-Scheindebatte.

    Denn die Konfliktlinie verläuft erstens nicht zwischen „Willkommen“ und „Abschrecken“, sondern zwischen „Quatschen“ und „Handeln“. Bisher wurde niemand abgeschoben, also wurde bisher nicht gehandelt.

    Zweitens gibt es (noch) keinen Machtkampf, der wäre in einem Kanzlerwahlverein (Union) nicht nur schwierig zu führen, er hat darin auch überhaupt keine Erfahrung. Einen wirklichen Machtkampf wird es erst zu dem Zeitpunkt geben, an dem die praktische Politik der Bundesregierung (unvermindert weiterhin: Grenzen für alle Zuwanderer bedingungslos offenhalten) die Union unter 35% drückt und die ersten wahlen zumindest argumentierbar deshalb verloren wurden.

    Drittens amüsieren mich Ihre „Rechtskonservativen“. Die gibt´s in der Union nicht mehr, falls es sie je gab. Maiziere und Schäuble dürften für ihr Reden (!) Umfragen und eigener Beobachtung folgend einen Bevölkerungsrückhalt oberhalb von 35% haben. Es gibt in Deutschland aber keine 35% „Rechtskonservativen“. Sie sind IMHO hier auf die Medien-Filterblase hereingefallen, die seit einiger Zeit in der Bevölkerung vertretene Ansichten gar nicht mehr in der vollen Breite abbildet, lustigerweise sowohl nach links wie nach rechts. Nur mit dieser Brille sieht der überzeugte Europäer Schäuble wie ein Rechtskonservativer aus.

    Ich hätte eine alternative Erklärung im Angebot, die viel, viel einfacher ist. Klassische Unionswähler wie -politiker sind sich in einem einig: Man wählt allle 4 Jahre eine Regierung, damit die das Land halbwegs vernünftig führt und einen mit Politik in Ruhe lässt. Deshalb kann es Unionspolitiker wie Wähler schon so richtig umtreiben, wenn die politische Spitzenfrau des Landes die eine, einzige Kernaufgabe eines Staates – Wahrung innerer und äusserer Sicherheit – mit den Worten beiseitewischt, deutsche Grenzen liessen sich nicht sichern. Und das Land danach auch prompt genauso handelt. Ich könnte mir vorstellen, mit welcher Verachtung Schäuble auf einen Regirungschef reagiert, der das wirklich zu meinen scheint.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • mh120480 mh120480

      Hmmm wir sind uns zumindest einig darin, dass es sich hierbei um eine filterbubble handelt, was ich mit narrativ meinte. ich sehe momentan auch nicht, dass in der union ernsthaft ein machtkampf gegen merkel stattfindet.. gleichwohl wie intern um die position gefochten wird und das durchaus auch gegen merkel.

      dass die deutschen grenzen nicht sicher sind, hat merkel ja auch nicht gesagt. sondern es so formuliert, dass sie nicht vorhat die flüchtlinge erschiessen zu lassen. wenn der ungar kommt, so freundlich er manchem momentan auch erscheint, wird die grenze auch mit schüssen verteidigt.

      zu schäuble vielleicht eine ergänzung: ich habe nicht den eindruck, dass er merkel das nicht angetragene pöstchen als bundespräsident verziehen hat. die rechnung wird er noch begleichen wollen.

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