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Erdogan vs. Putin

Der tägliche Blick auf die Welt richtet sich heute auf die Türkei und ihre spezielle Situation gegenüber Syrien und Russland. Ansonsten hoffe ich alsbald die Rezension zur Katja Glogers „Putins Welt“ verfassen zu können und habe das Gefühl, dass sich die politischen Fronten ein wenig wandeln.

Mein Dank geht an die Spender.

Außerdem habe ich festgestellt, dass ich die Bereiche „Kommentar“ und „Themen in Beobachtung“ besser voneinander abgrenzen sollte. Vermutlich sollten die Themen in Beobachtung mehr Labor und Lesehinweis sein, aber auch nicht mehr als das.

Kommentar

Gelegentlich komme ich mir vor wie ein Syrien-Erklärbärblog. Dabei ist dieser Konflikt voller Irrtümer und ständig lernt man etwas Neues dazu. Mir war durch die US-Unterstützung der Kurden jedenfalls bis neulich nicht gewahr, dass diese wiederum auch mit Assad kooperieren. Der Punkt verändert die Lage erheblich. Daher heute ein Blick gen Türkei, die von dem russischen Eingriff in Syrien wohl mit am stärksten betroffen sind. Abgesehen von der syrischen Opposition, die seit diesem Eingriff einen Einbruch der Unterstützungsgelder verzeichnen soll. Derweil suchen die arabischen Proxykämpfer zunehmend Kontakt zu Putin. Man kann das alles im Sinne einer Investition betrachten, der kein schlechtes Geld hinterhergeworfen wird. Womit wir der perfiden Wahrheit des Konfliktes wohl recht nahe kommen. In der Kombination dieser Informationen ist es jedenfalls ein klares Signal dahingehend, dass eine Lösung ohne Putin tatsächlich nicht machbar sein wird. Was wir hierzulande noch emotional diskutieren, scheint bereits beschlossen.

Nachdem die russichen Angriffe aus der Luft die Flugverbotszone verunmöglichten, die im Interesse der USA und der Türkei lag, sieht sich Erdogan nun einer kurdischen Armee im Nordosten Syriens gegenüber, die Landgewinne gegenüber dem IS erzielt und diese Landgewinne dazu nutzt, ihren Einfluss gezielt auszuweiten. Dafür wird, einem Bericht nach den Amnesty International veröffentlicht hat, auch „die Waffe“ der gezielten Vertreibung genutzt. Höchstwahrscheinlich werden die Kurden im Anschluss an ihre Landgewinne nicht Assad angreifen. Eine der größeren Ängste der Türkei ist es, dass sie nach dem Syrien-Krieg an ihrer Grenze eine weitere autonome Kurdenregion oder gar einen kurdischen Staat „erdulden“ muss. Gleichwohl könnte Putin 1 mit diesem Faustpfand auch auf Erdogan zugehen und sich wieder mit ihm vertragen. Aber…

Wie Jamestown beobachtet hat, wurde Anfang Oktober verkündet, dass Gazprom die zu verhandelnde Kapazität der Turkish-Stream-Pipeline von 63 Mrd. Kubikmetern auf 32 im Jahr gesenkt hat. Zeitgleich zum Beginn der russischen Intervention und einen Monat, nachdem man sich mit Deutschland auf South Stream two geeinigt hat. Nachdem russische Kampfjets / Drohnen mehrfach den türkischen Luftraum gestreift haben, und dies nach empfinden der Nato und der Türkei kein Zufall war, drohte Erdogan nun den Bau eines geplanten Atomkraftwerkes nicht mehr von Russland (20 Mrd. Dollar Deal) durchführen zu lassen. Auch die anvisierte Mitgliedschaft der Türkei in der SCO stellte er indirekt in Frage.

Russland scheint mit der Türkei einen Freund zu verlieren. Mit China gewinnt man aber auch einen Freund, den die „russische Hilfestellung“ in Syrien hocherfreut. Erdogan stellt das in Bezug auf Syrien vor ein paar Probleme. Mit seinem Lobbying für eine Flugverbotszone hat er bisher wenig erfolg. Russland droht per Luftraumverletzung indirekt damit, diese nicht zu achten.Wird sie also von den USA und der Türkei umgesetzt, müsste man auf direkte Konfrontation gehen und eine Eskalation risikieren. Ähnliches gilt für die Pufferzone, die sich Erdogan seit Beginn des Krieges wünscht. Zusammen mit Jordanien würden merkliche Teile des umkämpften Territoriums aus dem Spiel genommen. Keine der Kriegsparteien hat daran ein Interesse.

Zumal, und das ist vielleicht der größere Faktor, Safe- und Flugverbotszonen würden auch eine Angst seitens Russlands davor befördern, dass die westlichen Kräfte von ihnen aus und über ihnen entgegen Assad wirken. Libyen sitzt tief.

Erdogan sitzt momentan in der selbstgebauten Falle. Der Band zum Westen ist nicht sehr stark, das Band gen Osten ist noch schwächer. In diesem Sinne ist seine Betonung der Nato-Mitgliedschaft und auch die sonderbare Forderung nach der Reanimation der Gespräche für eine EU-Mitgliedschaft zu sehen. Der Versuch, gen Osten gewandt an Einfluss zu gewinnen, ist zunächst gescheitert. Also stärkt er, was er hat. Plötzlich ist eine modernisierte Zollunion mit der EU im Gespräch. Man darf dabei nur nicht vergessen, dass man es in ihm keinen sehr zuverlässigen Partner hat. Auch wächst der wirtschaftliche Druck innerhalb der Türkei. Es ist nicht ganz richtig, zu behaupten, dass Merkel dort betteln gehen muss.

Aber auch das Gegenteil ist zu vermerken. Russland hat sich an seine Wurzeln erinnert und den alten Feind Türkei wieder zu ebendiesen gemacht. Von der Türkei, als militärisch zweitstärkstes Nato-Mitglied, versprach man sich scheinbar nicht allzuviel dauerhaftes, zumal Erdogan viel zu sehr Putin ist, als dass man den Türken etwas diktieren könnte. Dafür wächst der Einfluss gen Iran und in Syrien. Man einigt sich dann auf anderen Ebenen.

Mir ist weiterhin nicht ersichtlich, wie sich das Thema der Kurden zwischen den Kräften lösen ließe.

Themen in Beobachtung

Besonders interessant finde ich nach wie vor die Verflechtungen im militärischen Sektor. Und auch sonst habe ich das Gefühl, dass man sich nicht so recht ausweichen kann. Ginge es nur um Wirtschaft, wäre alles vielleicht leichter. Aber es ist auch so, dass die Abhängigkeit der Ukraine von Russland höher ist als die Abhängigkeit von Russland gegenüber der Ukraine. Schon größenbedingt. In ähnlichen Konflikten wurde die Entbündelung durch den Westen gefördert. Es ist vielleicht die bösartigste Wahrheit für uns hierzulande, dass wir vor der Entscheidung stehen, ob wir die Ukraine einbinden oder Russland überlassen. Einbindung kostet Geld.

Regardless of which direction the Russia-Ukraine bilateral relationship turns, and the need for Ukraine to orient its economy westward, a healthy Ukraine will naturally have business links with Russia as a result of the long joint border, interpersonal ties, and past economic integration. Even now, despite the war in the Donbas between Russia and Ukraine, the Russian Federation is still Ukraine’s single-biggest trade partner. Trade with Russia totaled 19% of Ukrainian exports and 25% of its imports, a far bigger share for the Ukrainian economy than any single country. This is despite a sharp decrease in bilateral trade in 2014.

So langsam mehren sich die Stimmen, die der Feststellung anheim fallen, dass es eine gewisse ideologische Überschneidung zwischen den rechten und den linken Kräften gibt. Sichtbar wird dies an der EU wie auch bei den Flüchltingen und wie man mit ihnen umzugehen hat. Dass sich diese sonderbare Vereinigung aber der „neuen Mitte“ entgegenstellt, wird noch nicht so recht wahrgenommen. Hierin dürfte aber der eigentliche Kern  zu finden sein, denn der Kampf gegen das Innen ist dem Äußeren unabdingbar geworden.

The zeitgeist is summed up by the term “sinistrose,” the deep-rooted pessimism that has long passed as a trait of the French psyche but is taking a turn for the worse in times of economic and political uncertainty.

Erste Eindrücke aus dem Westjordanland von der drohenden Intifada 3.0

Nächste Buchrezension im Blog:

  • Atef Abu Saif – Frühstück mit der Drohne (Über den Krieg in Gaza aus der Erlebnisperspektive eines Bürgers.)

Buch (am Lesen):

  • Wendy Brown auch endlich ein Buch in Deutschland veröffentlichen darf. Lange genug hat es gedauert und ich habe an verschiedenen Stellen dafür geworben, da sie eine der schärfsten Beobachterinnen unserer Zeit ist.)

Bücher (zu lesen):

  • John Lloyd & Laura Toogood: Journalism and PR (Auf die Studie stieß ich durch einen Artikel in der NZZ und einige Thesen klangen verheißungsvoll.)
  • Ray Bradbury – Fahrenheit 451 (Für mich dann abschließendes Werk aus der (Gegenwartsdystopie-Reihe.)
  1. An der Stelle schreibe ich nun explizit Putin, damit ich darauf hinweisen kann, dass wir in Deutschland und den USA vor lauter Putin den Iran übersehen. Dieser stellt in Syrien nicht nur Bodentruppen, sondern ist ein wichtiger Geldgeber von Assad. Putin könnte ohne Zutun des Irans in Syrien wenig ausrichten bzw. dies nur unter erheblich höheren Kosten.
Marco Herack
Marco Herack

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